Die neue amerikanische Leitlinie für die Kapselendoskopie – zu viel und zu weit ?

Die neue amerikanische Leitlinie für die Kapselendoskopie – zu viel und zu weit ?

Uwe Seitz, Heppenheim

Gastroenterology 2017; 152:497-514

GUIDELINE
Clinical Practice Guidelines for the Use of Video Capsule Endoscopy
Robert A. Enns1, Lawrence Hookey2, David Armstrong3, Charles N. Bernstein4, Steven J. Heitman5, Christopher Teshima5, Grigorios I. Leontiadis3, Frances Tse3and Daniel Sadowski7
1Division of Gastroenterology, Department of Medicine, University of British Columbia, Vancouver,British Columbia, Canada; 2Division of Gastroenterology, Department of Medicine, Queen’s University, Kingston, Ontario, Canada; 3Division of Gastroenterology, Department of Medicine, McMaster University, Hamilton, Ontario, Canada; 4Section of Gastroenterology, Department of Medicine, University of Manitoba, Winnipeg, Manitoba, Canada; 5Division of Gastroenterology and Hepatology, Department of Medicine, University of Calgary, Calgary, Alberta, Canada; 6Division of Gastroenterology, Department of Medicine, University of Toronto, Toronto, Ontario, Canada; 7Division of Gastroenterology, Royal Alexandria Hospital, Edmonton, Alberta, Canada

Background and Aims

Video capsule endoscopy (CE) provides a noninvasive option to assess the small intestine, but its use with respect to endoscopic procedures and cross-sectional imaging varies widely. The aim of this consensus was to provide guidance on the appropriate use of CE in clinical practice.

Methods

A systematic literature search identified studies on the use of CE in patients with Crohn’s disease, celiac disease, gastrointestinal bleeding, and anemia. The quality of evidence and strength of recommendations were rated using the Grading of Recommendation Assessment, Development, and Evaluation (GRADE) approach.

Results

The consensus includes 21 statements focused on the use of small-bowel CE and colon capsule endoscopy. CE was recommended for patients with suspected, known,
or relapsed Crohn’s disease when ileocolonoscopy and imaging studies were negative if it was imperative to know whether active Crohn’s disease was present in the small bowel. It was not recommended in patients with chronic abdominal pain or diarrhea, in whom there was no evidence of abnormal biomarkers typically associated with Crohn’s disease. CE was recommended to assess patients with celiac disease who have unexplained symptoms despite appropriate treatment, but not to make the diagnosis. In patients with overt gastrointestinal bleeding, and negative findings on esophagogastroduodenoscopy and colonoscopy, CE should be performed as soon as possible. CE was recommended only in selected patients with unexplained, mild, chronic irondeficiency anemia. CE was suggested for surveillance in patients with polyposis syndromes or other small-bowel cancers, who required small-bowel studies. Colon capsule endoscopy should not be substituted routinely for colonoscopy. Patients should be made aware of the potential risks of CE including a failed procedure, capsule retention, or a
missed lesion. Finally, standardized criteria for training and reporting in CE should be defined.

Conclusions

CE generally should be considered a complementary test in patients with gastrointestinal bleeding, Crohn’s disease, or celiac disease, who have had negative or inconclusive endoscopic or imaging studies.

Was Sie über die Leitlinie wissen sollten

Diese Leitlinie zur Kapselendoskopie wurde von 7 kanadischen Experten für Kap-selendoskopie zusammengestellt und hochrangig in Gastroenterology publiziert. Sie beschränkt sich auf die Kapselendoskopie von Erwachsenen und bezieht sich vorwie-gend auf die klinischen und ökonomischen Gegebenheiten in Nordamerika.

21 Statements wurden formuliert:

  1. Bei klinischen Zeichen, die mit einem Morbus Crohn vereinbar sind, sowie unauffälliger Ileokoloskopie und Bildgebung wird eine Kapselendoskopie empfohlen (starke Empfehlung, sehr niedrige Evidenz). Diarrhoen oder Bauchschmerzen sollten wenigstens 6 Wochen persistieren und ein Biomarker sollte auffällig sein (CrP oder BSG oder Calprotektin im Stuhl oder Albuminmangel oder Anämie). Bei misslungener Intubation des Ileum wird die Kapselendoskopie empfohlen. Eine Gastroskopie vor Kapselendoskopie wird nicht gefordert.
  2. Bei Patienten mit Morbus Crohn und klinischen Zeichen, die sich mit der Ileokoloskopie und anderer Bildgebung nicht erklären lassen, wird eine Kapselendoskopie empfohlen (starke Empfehlung, sehr niedrige Evidenz). Die Vorteile erhöhter Raten an Befunden werden betont. Die höhere Retentionsrate bei bekanntem M. Crohn hingegen nicht.
  3. Wenn bei bekanntem Morbus Crohn ein „mucosal healing“ jenseits der Reichweite der Ileokoloskopie gesichert werden muss, wird die Kapselendoskopie empfohlen (mäßige Empfehlung, sehr niedrige Evidenz). Bei Patienten nach mehreren Darmresektionen wird der Einsatz einer Patency-Kapsel in der Regel erwogen, er wird aber in der Leitlinie nicht gefordert.
  4. Bei Verdacht auf Rezidiv eines Morbus Crohn im Dünndarm nach Kolektomie wird eine Kapselendoskopie empfohlen, wenn die „Ileokoloskopie“ und Bildgebung ohne Rezidivnachweis bleiben (starke Empfehlung, sehr niedrige Evidenz). Biomarker oder Klinik werden in diesem Zusammenhang nicht erwähnt.
  5. Bei Bauchschmerzen und Diarrhoen ohne Biomarker (CrP, BSG, Calprotektin, Albumin, Hb) sollte keine Kapselendoskopie erfolgen (mäßige Empfehlung, niedrige Evidenz). Trotz mäßiger Empfehlung und geringer Evidenz wird nicht ausdrücklich abgeraten.
  6. Die Kapselendoskopie soll nicht zur Diagnosestellung einer Zöliakie eingesetzt werden (starke Empfehlung, sehr niedrige Evidenz).
  7. Bei Zöliakiepatienten mit ungeklärten Symptomen trotz Therapie und konventioneller Diagnostik mit Normalbefunden wird eine Kapselendoskopie empfohlen (starke Empfehlung, sehr niedrige Evidenz für die Effektivität). Hier wird auch die geringe Evidenz bezüglich der Sicherheit erwähnt. Die Empfehlung gründet letztlich auf der relevanten Rate entdeckter Malignome, insbesondere wenn nach 6 Monaten Gluten-freier Diät Beschwerden persistieren oder wiederkehren.
  8. Bei gastrointestinaler Blutung mit dokumentiert offen erkennbarem Blut (außer Hämatemesis) ist die Kapselendoskopie nach ÖGD und Ileokoloskopie der nächste Schritt (starke Empfehlung, sehr niedrige Evidenz).
  9. Nach einer Blutungsepisode sollte nach negativer Enteroskopie und Koloskopie die Kapselendoskopie so schnell wie möglich erfolgen (starke Empfehlung, sehr niedrige Evidenz). Das von der ESGE empfohlene 14-Tage-Intervall wird als zu lang beurteilt.
  10. Bei Patienten mit rezidivierenden obskuren Blutungen werden auch nach negativer Kapselendoskopie erneute Endoskopien, auch Kapselendoskopien empfohlen (starke Empfehlung, sehr niedrige Evidenz).
  11. Bei Eisenmangelanämie und vermuteter gastrointestinaler Ursache wird eine Kapselendoskopie in ausgewählten Fällen empfohlen (starke Empfehlung, sehr niedrige Evidenz). Zur Auswahl tragen neben ÖGD und Koloskopie ggf. auch das Ausmaß der Anämie und der Ausschluss anderer Blutungsursachen (z.B. Menstruation) bei.
  12. Für Patienten mit Polyposis-Syndromen, die Dünndarmkontrolluntersuchungen benötigen, wird die Kapselendoskopie vorgeschlagen (mäßige Empfehlung, sehr niedrige Evidenz für die Effektivität). Hier wird auch die geringe Evidenz bezüglich der Sicherheit erwähnt.
  13. Vom Ersatz der Koloskopie durch die Kolon-Kapselendoskopie wird abgeraten (starke Empfehlung, sehr niedrige Evidenz). Obwohl am Bedarf einer aufwändigeren Vorbereitung und der Unmöglichkeit Polypen gleich abzutragen kein Zweifel besteht, wird die Evidenz als sehr niedrig angesehen.
  14. Vom Einsatz der Kolon-Kapselendoskopie bei CED zur Bestimmung von Ausmaß und Schweregrad wird abgeraten.
  15. Bei der Aufklärung für die Kapselendoskopie muss über das Misslingen der Untersuchung, die Retention und über das Übersehen von Läsionen aufgeklärt werden (starke Empfehlung).
  16. Bei bekannten oder vermuteten Strikturen wird der Einsatz einer Patency-Kapsel vorgeschlagen (mäßige Empfehlung, sehr niedrige Evidenz). Bedenken bestehen vor allem, da die Patency-Kapsel Passage auch ohne Retention verzögert sein kann und Patienten unnötig von der Kapselendoskopie ausgeschlossen werden könnten. Kapselretentionen nach Patency-Kapsel-Passage werden nur aus einer Studie mit Patienten mit bekanntem Morbus Crohn zitiert. Sonographien als Voruntersuchungen werden nicht erwähnt.
  17. Bei Patienten mit geringer Motilität oder bei andauerndem Narkotika-Gebrauch soll die Kapselpassage durch den Pylorus nach einer Stunde überprüft werden. Die Kapselendoskopie soll bis zum Ende der Batterielaufzeit andauern (starke Empfehlung, sehr niedrige Evidenz).
  18. Bei Herzschrittmachern kann eine Kapselendoskopie ohne weitere Vorsichtsmaßnahmen durchgeführt werden (mäßige Empfehlung, sehr niedrige Evidenz).
  19. Vor der Kapselendoskopie sollte eine Darmvorbereitung durchgeführt werden (starke Empfehlung, sehr niedrige Evidenz).
  20. Die Kapselendoskopie sollte vollständig dokumentiert werden. Zu den erforderlichen Komponenten gehören unter anderem die Indikation, Medikation, Vorbereitungsqualität, Ergebnis, Komplikationen und Empfehlungen zum weiteren Vorgehen.
  21. Kapselendoskopien sollten von Endoskopikern mit dokumentierter Kompetenz durchgeführt werden. Spezifische Kriterien liegen noch nicht vor.

Insgesamt fällt auf, wie niedrig die Evidenz ist. In 14/18 Statements (bei den 3 restlichen wurde die Evidenz nicht analysiert) wurden die Statements als „very low quality evidence“ gewertet, schlechter geht´s nicht. Trotzdem gaben die Kanadier meist starke Empfehlungen (strong recommendation) ab und waren sich auch ganz prima einig. Warum traut sich niemand mal zu sagen, die Evidenzlage läßt evidenzbasierte Empfehlungen nicht zu ? Obwohl die ersten vier Autoren eindrucksvolle Listen an Firmenunterstützungen im Disclosure aufweisen (die restlichen 5 dagegen gar keine), war nur bei zwei eine Kapselfirma dabei.

Zur Hauptindikation, der Blutung wurden nur vier Statements erstellt, zu Morbus Crohn hingegen 5. Aus deutscher Sicht erscheinen die Statements insgesamt als liberal bezüglich einer großzügigen Indikationsstellung. Nicht nur aus Erstattungsgründen sollte m.E. in Deutschland eine zurückhaltendere Indikationsstellung zur Anwendung kommen. Ob solche Positionspapiere mit sehr begrenzter Evidenz hier zielführend sind – hochranging publiziert – bleibe dahingestellt.

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