Ösophagusvarizen

Ösophagusvarizen

Für die Klassifikation der Ösophagusvarizen gibt es verschiedene Klassifikationssysteme, die sich leider nur teilweise überlappen bzw. zur Deckung bringen lassen.

Die offizielle Terminologie der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) (nachzuschlagen über die DGVS-Website bzw die AWMF-Website) wird die Klassifikation nach Paquet(1) verwendet, allerdings werden auch noch weitere Parameter direkt abgefragt, nämlich

  • Anzahl der Stränge
  • maximaler Durchmesser des größten Strangs < oder > 5 mm
  • Lokalisation im Ösophagus (distal vs. untere 2/3 vs. gesamter Ösophagus)
  • Vorhandensein von sog. red colour signs, dies sind rötliche Flecken, varices on varices (s. u.)
Modifizierte Klassifikation nach Paquet
Grad I (Ausdehnung der Varizen knapp über das Schleimhautniveau)
Grad II (Varizen ragen bis 1/3 des Lumendurchmessers vor und lassen sich durch Luftinsufflation nicht komprimieren)
Grad III (Varizen ragen bis 50% des Lumendurchmessers vor bzw. berühren sich)

Zur Varizenklassifikation soll möglichst ein „mittlerer“ Insufflationsgrad des Lumen zur Anwendung kommen (was natürlich Interpretationsspielraum lässt); bei geringgradigen Varizen (Grad I) soll aber unter voller Insufflation das Verstreichen der Varizen getestet werden (Grad I).

Beispiele für Grad I

Ausdehnung der Varizen knapp über das Schleimhautniveau und Kompression durch Luftinsufflation (untere Bildreihe)

Beispiele für Grad II

Ausdehnung der Varizen über das Schleimhautniveau (keine Kompression durch Luftinsufflation) bis zu 1/3 des Lumendurchmessers

Beispiele für Grad III

Ausdehnung der Varizen über 50% des Lumendurchmessers, bzw. berühren sich

Beispiele für red signs

(auch genannt red wale signs); dies sind rote Flecken oder Streifen auf den Varizen als Zeichen eines erhöhten Blutungsrisikos oder einer stattgehabten Blutung. Oft werden auch noch kleine Varizen auf größeren (varices on varices) zu den Risikozeichen gerechnet; manchmal wird diese Kategorie auch als Grad IV bezeichnet, obwohl sie nicht in der offiziellen Paquet-Klassifikation enthalten ist.

Weitere Klassifikationen in der Literatur

JRSPH (Japanese Research Society for Portal Hypertension) (2)

Einteilung nach (Zunahme des Blutungsrisikos von oben nach unten in jeder Kategorie)

Farbe weiß
blau
Red color sign keine/milde red wale markings/cherry red spots (A)
mittelgradige/schwere red wale markings/cherry red spots (B)
Form gerade (F1)
vergrößert, geschlängelt (F2)
Größte Varizen (F3)
Lokalisation Inferiores Drittel
Mittleres Drittel
Oberes Drittel

Aus diesen Kriterien wird ein komplizierter Score berechnet, der von +1.14 (Blutungsrisiko 0) bis unter -1.14 (Blutungsrisiko 100%) reicht, in der Praxis aber wohl zu kompliziert ist. Gelegentlich findet man Angaben zu F1-3 und zusätzlich Angaben über red colour signs.


NIEC (North Italian Endoscopic Club) Index (3)

der Index baut auf der japanischen Klassifikation auf und benutzt drei Hauptparameter

Child Status A/B/C
Varizengröße klein/mittel/groß
Red wale markings keine/mild/moderat/schwer

Hieraus wird in einem komplexen Punktesystem der Index berechnet*, der sich wiederum in 6 Risikoklassen (<20/20-25/25.1-30/30.1-35/35.1-40/>40) gliedert.

* Punktevergabe für Child Status: A 6.5/B 13/C 19.5; Varizengröße klein 8.7/mittel 13.0/groß 17.4; Red wale markings: keine 3.2/mild 6.4/moderat 9.6/schwer 12.8


Dagradi (4)

Grad 1 Lineare Varizen < 2 mm, rötlich/blau, nicht erhaben bei mittlerer Insufflation, werden durch Druck mit dem Endoskop zum Vorschein gebracht
Grad 2 blau, 2-3 mm, gering geschlängelt, erhaben über der Oberfläche des Ösophagus bei mittlerer Insufflation, gel. auch sichtbar als „anteriore Sentinel-Vene“
Grad 3 prominent elevierte bläuliche Venen 3-4 mm, gerade oder geschlängelt, isolierte Verteilung in der Ösophaguswand, „gute Mukosabedeckung“
Grad 4 > 4 mm, zirkuläre Ausdehnung über die Ösophaguswand, Varizen treffen sich fast in Lumenmitte, mit/ohne „gute Mukosabedeckung“
Grad 5 Traubenartige Varizen mit Lumenokklusion, v. a. gekennzeichnet durch cherry red spots oder varices on varices („cherry red varices“)

Grundsätzliche Anmerkungen zu den Klassifikationen

  • Die Varizenklassifikationen gelten streng genommen nur für die Primärbeurteilung vor (endoskopischer) Therapie; Klassifikationen nach Therapie (Ligatur, ggf. Sklerosierung) sind erschwert; hier sollten die (Rest)Varizen nach Zahl, Lokalisation und max. Durchmesser bzw. red signs beschrieben werden.
  • Im Vergleich hatte in einer Studie (5) die Dagradi-Klassifikation die höhere Sensitivität, die beide anderen (JRSPH, NIEC) aber eine bessere Spezifität und einen positiven Vorhersagewert. Die Paquet-Klassifikation wurde seit der Einführung dahingehend nicht mehr von anderen Gruppen validiert.
  • Variabilität in der Beurteilung: Mit Ausnahme einer Studie, die konventionelle und transnasale dünne Gastroskope verglich (6), hatten die meisten diesbezüglichen Studien nur moderate Werte für die Interobserver-Variabilität aufzuweisen, d. h. die Beurteilungsschwankungen vor allem bei einzelnen Kriterien zwischen verschiedenen Untersuchern in der Varizengradierung waren erheblich (7-9); die Studien weisen allerdings schon ein beträchtliches Alter auf. Eine jüngere Publikation bei Kindern zeigte aber keine wesentlich besseren Ergebnisse (10).

Literaturverzeichnis

  1. Paquet, KJ. Prophylactic endoscopic sclerosing treatment of the esophageal wall in varices – A Prospective Controlled Randomized Trial. Endoscopy 1982; 14: 4–5
  2. Beppu K, Inokuchi K, Koyanagi N, Nakayama S, Sakata H, Kitano S, Kobayashi M. Prediction of variceal hemorrhage by esophageal endoscopy. Gastrointest Endosc. 1981 Nov;27(4):213-8.
  3. North Italian Endoscopic Club for the Study and Treatment of Esophageal Varices. Prediction of the first variceal hemorrhage in patients with cirrhosis of the liver and esophageal varices. A prospective multicenter study.N Engl J Med. 1988 Oct 13;319(15):983-9.
  4. Dagradi AE, Stempien SJ, Owens LK. Bleeding esophagogastric varices. An endoscopic study of 50 cases. Arch Surg. 1966 Jun;92(6):944-7.
  5. Rigo GP, Merighi A, Chahin NJ, Mastronardi M, Codeluppi PL, Ferrari A, Armocida C, Zanasi G, Cristani A, Cioni G, et al. A prospective study of the ability of three endoscopic classifications to predict hemorrhage from esophageal varices. Gastrointest Endosc. 1992 Jul-Aug;38(4):425-9.
  6. Pungpapong S, Keaveny A, Raimondo M, Dickson R, Woodward T, Harnois D, Wallace M. Accuracy and interobserver agreement of small-caliber vs. conventional esophagogastroduodenoscopy for evaluating esophageal varices. Endoscopy. 2007 Aug;39(8):673-80. Epub 2007 Jun 22.
  7. Bendtsen F, Skovgaard LT, Sørensen TI, Matzen P. Agreement among multiple observers on endoscopic diagnosis of esophageal varices before bleeding. Hepatology. 1990 Mar;11(3):341-7.
  8. Calès P, Buscail L, Bretagne JF, Champigneulle B, Bourbon P, Duclos B, Dapoigny M, Dumas R, Pierrugues R, Davion T, et al. Interobserver and intercenter agreement of gastro-esophageal endoscopic signs in cirrhosis. Results of a prospective multicenter study Gastroenterol Clin Biol. 1989 Dec;13(12):967-73.
  9. Conn HO, Smith HW, Brodoff M: Observer Variation in the endoscopic diagnosis of esophageal varices. A prospective investigation of the diagnostic validity of esophagoscopy. N Engl J Med. 1965 Apr 22;272:830-4
  10. D’Antiga L, Betalli P, De Angelis P, Davenport M, Di Giorgio A, McKiernan PJ, McLin V, Ravelli P, Durmaz O, Talbotec C, Sturm E, Woynarowski M, Burroughs AK. Interobserver Agreement on Endoscopic Classification of Oesophageal Varices in Children: A Multicenter Study. J Pediatr Gastroenterol Nutr. 2015 Apr 15. [Epub ahead of print]

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